Jedes Jahr findet in Stuttgart die Anlegermesse „Invest“ statt.
Wichtig zu wissen:Diese Messe richtet sich überwiegend an den „normalen“ Privatanleger und das merkt man auch. Es geht weniger fachlich zu und man hört oft eher platte Ausdrücke, wie „super-interessant“ und „es geht nicht ohne Aktien“ oder auch „Aktien sind alternativlos“.
Ich fahre trotzdem gerne nach Stuttgart, um vor Ort in die Rolle des deutschen Privatanlegers zu schlüpfen, die allgemeine Stimmungslage zu erfühlen und nicht zuletzt natürlich auch ins Gespräch mit dem ein oder anderen Experten zu kommen. Die sind nämlich teilweise auch dort ????
Aber viele Dinge ließen mich dieses Jahr etwas erschaudern… Mein erster Vortrag, den ich besuche: „ETF als Baustein jeder privaten Anlagestrategie“
Mein erster Vortrag der Comstage (Commerzbank) gefiel mir recht gut. Es ging um ETFs und wie man sich so eigene Strategien selbst „zusammenbaut“. Auch die Sinnhaftigkeit eines Sparplanes wurde betont.
Besonder gefallen haben mir die Kommentierungen und Einschätzungen von Hermann Kutzer, der sich als großer ETF-Fan outete. Seine unaufgeregte und authentische Sichtweise auf die Märkte fielen mir positiv auf. Außerdem leitete er sehr amüsant und souverän durch das Programm.
Eine markante und durchaus nachvollziehbare Aussage von ihm:
„Seien Sie Eigentümer! Eigentümer sein ist besser als Gläubiger.“
Damit plädiert er für die Aktie, statt Anleihe oder Bankkonto, denn damit ist man kein Eigentümer, sondern lediglich Gläubiger.
Hauptakteur war aber der Commerzbank-Chef der ETF Abteilung Thomas Meyer zu Drewer, der ebenso gut verständlich die Vorteile von ETFs erklärte. Wie gesagt, ein guter Start in den Messetag für mich und für die Zuhörer ein echter Mehrwert.
Natürlich war auch hier das Fazit: Rein in die Aktien. Zumindest ein wenig oder per Sparplan.
Schlendern durch die Halle
Der Anlagenotstand wird mir ganz besonders beim Schlendern durch die Halle bewusst. Da sieht man Stände, die mit der Investition in Gold und Silber werben aber auch sehr exotische Teilnehmer sind recht prominent platziert:
Waldinvestments, Teakfarmen in Costa Rica, Kunstinvestments oder Immobilien in Montenegro, „dem neuen Monaco!“
Also ganz ehrlich, diese Investments können keinesfalls die klaffende Lücke der konservativen Anlageformen füllen. Hier handelt es sich bestenfalls um hochspekulative Beimischungen, denn wer kann wirklich behaupten, dass er von dieser Materie eine Ahnung hat?!
Immer wieder Vorträge, Börsengurus und Weisheiten
Auf den zahlreichen Bühnen geben immer wieder Börsenexperten oder zumindest welche, die sich dafür halten Weisheiten von sich. Wirklich wichtige Informationen oder Aufklärung der Anleger findet nur sehr selten statt. Stattdessen höre ich mehr als einmal schlichte Fehlinformationen.
Die Tendenz, wie man hier oft Anleger in Aktien, bzw. Risiko „reinquatscht“ hat mich alles in allem etwas besorgt.
Plötzlich finde ich dort auch Birgit Schrowange unter den selbsternannten Anlageprofis!
Sie rät besonders allen Frauen den Einstieg in die Börsenwelt.
Sie kann angeblich gar nicht verstehen, warum so wenig Deutsche im letzten Aufschwung dabei waren!
Sie hat natürlich alles richtig gemacht und ist sicherlich am Tiefstpunkt eingestiegen. Hoffentlich verrät Sie in Ihrem Buch, wann man wieder aussteigen soll ????
Na ja… in diesem Buch jedenfalls will Sie ihre Weisheiten unters weibliche Volk bringen und in erster Linie Buchkäufer finden. Auch keine schlechte Einnahmequelle…
Eine weitere Bühne mit sehr vielen Zuschauern:
Markus Koch gibt sich die Ehre. Ihm hätte ich gerne etwas zugehört, allerdings drängen sich die Massen um ihn, als handelte es sich um den Messias persönlich.
Vorbei am Taschenspieler und Kartentrickser der Sparkasse (ob das wirklich so eine gute Marketingidee der Sparkasse war???) komme ich an die nächste große Bühne…
Auf dieser Bühne hampelt einer rum, als ginge es um sein Leben. Ich lief nur zufällig vorbei, da hörte ich folgenden Satz von ihm:
„29% in 6 Tagen ist auch für Sie bequem möglich, wenn Sie lernen wie Optionen funktionieren.“
Im Publikum überwiegend der typisch schwäbische Kleinanleger und ich kann mir nicht vorstellen, dass da viele drauf reinfallen, denn ich sehe viele skeptische Gesichter. Zum Glück!
Der Mann auf der Bühne wollte übrigens Trading Kurse der Firma „Trader IQ“ verkaufen, die an diesem Tag natürlich einen einmaligen Rabatt hatten. Der Kurs nennt sich:
„Börsenturbo für Berufstätige“
Solche Sätze hielt ich für Vergangenheit, aber man spielt wieder mit der Gier und Verzweiflung der Anleger und vielleicht lässt sich ja wirklich der ein oder andere wieder zu Exzessen verführen.
Da verspricht man doch tatsächlich wieder ein Rezept zum reich werden. Ohne viele Mühe und Aufwand. Es reicht ein kleiner Crash Kurs. Diesen bietet man natürlich völlig selbstlos und aus reiner Menschenliebe an!
Bühne frei für den nächsten Zampano:
Der Chef vom Platow Brief langweilt erst mit vielen alten Zahlen und meint dann, dass man durch gezieltes Stock Picking den Markt schlagen kann. Wie? In dem man den Platow Brief abonniert.
ETF hielt der Chef des Platow Briefes eher für zweite Wahl. Seine Begründung:
„Damit kann man ja nie den Markt schlagen.“
Seine Einzeltitelempfehlungen auf der Bühne:
Capital Stage, WKN: 609500 (Firma aus dem Solarsektor)
Uzin Utz AG, WKN: 755150 (Spezialist für Bodenbeläge)
Jetzt mein Highlight: „Brandmaier spricht“
Auf Plakaten überall angekündigt: „Brandmaier spricht“
Fast schon sektenartig erwartete man den Auftritt von Joachim Brandmaier, dem Chef des „Stuttgarter Aktienbriefes“.
Der Andrang vor der Bühne war enorm, als würde gleich Warren Buffet oder Bill Gates sprechen. Ich war gespannt, da ich zuvor noch keinen Auftritt miterleben konnte.
Aber was dann kam, lies mich sprachlos werden. Da wirbelte dieser Brandmaier über die Bühne, gab zahlreiche (uralte) Witze von sich und lieferte so gut wie nichts „handfestes“.
Einfach nur schwäbisches „Gebabbel“ auf Stammtisch-Niveau.
Aber die Leute klebten an seinen Lippen, denn er gilt als hoffnungsloser Optimist. Und als ein solcher hat er im Moment Hochkonjunktur.
Seine Devise:
„Jeder Tag ist Kauftag“
Das ganze glich eher einem Comedy-Auftritt, vor allem als er die „Linear-Technik“ vorstellte. Ein wichtiges Kriterium ist der konstante Anstieg einer Aktien über viele Jahre.
Man legt also ein Linear auf den Langfrist-Chart einer Aktie. Steigt diese kontinuierlich, dann wird sie vom Aktienclub empfohlen. Aha. So einfach kann Börse sein.
Seine Empfehlungen unterstrich er mit Werbegeschenken: Nivea (Beiersdorf), Pampers und Ariel (Procter & Gamble).
Konkret empfahl er also dem andächtig lauchenden Publikum:
Procter & Gamble, WKN: 852062 (Konsumgüter)
Essilor, WKN: 863195 (Chemie, Pharma)
Stryker, WKN: 864952 (Chemie, Pharma)
Mc Donald’s, WKN: 856958 (Konsumgüter)
Altria, WKN: 200417 (Konsumgüter, z. B. Marlboro)
Die haben jedenfalls alle den „Linear-Test“ bestanden.
Aber wer diesen Auftritt schon eher skuril empfand, der hat Heiko Thieme noch nicht erlebt. Der ist auf jeden Fall der größte Optimist unter allen Optimisten.
Er gab eine Einschätzung zum DAX für das Ende des Jahrhunderts ab. Eine solche Einschätzung bringt natürlich niemandem etwas und Thieme selbst kann sicher sein, dass er einen möglichen Irrtum niemals erleben wird.
Seine Einschätzung: DAX bei 750.000 Punkten!
Nein ich habe mich nicht verhört. Seine ganz einfache Rechnung:
Wenn der DAX jedes Jahr im Schnitt um 5% steigt und dies für die nächsten 85 Jahre, dann wird er am Ende bei irgendwo um die 750.000 Punkten stehen. Tatsächlich wäre er dann sogar noch höher.
Kommt man mit solchen Aussagen wirklich ins Fernsehen und wird als Börsenexperte anerkannt??? Wer soll mit solchen unsinnigen Aussagen etwas anfangen können?
Mein Fazit: Die Stimmung und das Verhalten der Marktteilnehmer haben mich ein wenig erschreckt. Wenn sich das so weiterentwickelt und sich dieser „Kauf-oder-stirb-Virus“ auf die breite Schicht der Privatkunden ausbreitet, steht der nächste Crash vor der Tür. Die Lage muss also aufmerksam verfolgt werden.
Bis zum nächsten Jahr, Invest ????